Mein Aufreger der Woche: Leseförderung als Buchhandelsförderung?
(14.08.2015) Ich liebe Buchhandlungen, ich genieße es dort zu sitzen, in Büchern zu blättern und mit den Buchhändlern zu plaudern. Das muss ich vorweg schicken, denn was jetzt gerade passiert, finde ich sehr merkwürdig und darüber rege ich mich wirklich auf. Da wird die Stiftung Lesen, eine Institution der Leseförderung, angeprangert, weil sie mit einem Discounter kooperiert – allen voran vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Äh, ich kenne die Stiftung Lesen noch aus der Zeit als sie Deutsche Lesegesellschaft hieß und war immer davon ausgegangen, dass ihr Ziel die Leseförderung ist und nicht die Buchhandelsförderung.
Leseförderung ist Förderung zum Lesen!
Nun beschäftige ich mich seit fast 30 Jahren mit Leseförderung, ich habe schon meine Diplomarbeit zum Thema Leseerziehung geschrieben, habe lange Jahre im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Jugend und Literatur NRW mitgewirkt und in all meinen beruflichen Tätigkeiten mit der Stiftung Lesen kooperiert – weil ich es wichtig finde, dass Menschen ans Lesen herangeführt werden. Darum geht es: Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, ans Lesen heranzuführen! Übrigens nicht unbedingt ans Lesen von Büchern, gerade in einer Zeit, die stark von Medien geprägt wird, sollte man froh sein, wenn sich junge Menschen hinsetzen und Zeitschriften, Comics, E-Books oder Internetseiten lesen. Falls sie nämlich überhaupt nicht mehr lesen können, werden sie sicher niemals zu Büchern greifen. Nur, wenn Menschen Freude an Büchern bekommen haben und mehr Lesestoff wünschen, gehen sie in Büchereien und Buchhandlungen, um Nachschub zu holen. Aber dahin muss man sie erst einmal bringen und da sind viele verschiedene Wege nötig.
Nicht alle Kinder kennen Buchhandlungen
Ich arbeite fast täglich mit Kindern – viele davon waren noch niemals in einer Buchhandlung, außer um dort Hefte zu kaufen. (Ja, Hefte! Gab oder gibt es eigentlich einen Aufschrei der Organisation der Schreibwarengeschäfte, weil Buchhandlungen Hefte, Stifte und anderen Schreibbedarf verkaufen? Das schreibe ich auf meine Recherche-Liste, vielleicht kann es mir jemand sagen.)
Aber viele der Kinder haben Bücher aus dem Aldi-Sortiment zu Hause. Ich weiß das, weil ich seit Jahren für den Lingen Verlag schreibe, der neben anderen Verlagen Bücher für Aldi entwickelt und produziert. Wenn ich den Kindern meine Belegexemplare der Erstlesebücher schenken möchte, lehnen manche ab, weil sie die Bücher bereits besitzen. Andere freuen sich, dass sie eine Folge bekommen, die sie noch nicht kennen, weil Oma, Opa, Eltern oder wer immer ihnen das erste Buch gekauft hat, nur einmal zum Aktionszeitraum bei Aldi waren. Zu der Reihe „Der magische Vampir“ habe ich sogar eine lange Liste von Elternrückmeldungen, dass ihr Kind durch diese Bücher Spaß am Lesen bekommen hat. Eltern sind es nämlich irgendwann leid, hochpreisige Bücher in der Buchhandlung zu kaufen, um sie ins Regal zu stellen. Lieber nehmen sie beim Wochenendeinkauf ein Buch zum Aktionspreis mit und schauen, ob es ihrem Kind gefällt.
Über das Medium zum Buch
Für mich war das Schreiben für Lingen bzw. Aldi immer eine Form von Leseförderung, deren Ergebnis ich manchmal sogar hautnah in der Arbeit mit Kindern erfahen habe. Deshalb verstehe ich nicht, wieso sich ausgerechnet der Buchhandel, dem auf diese Weise eher neue Zielgruppen erschlossen werden, so echauffiert. Ich weiß jetzt schon, dass manche Schüler, die ansonsten einen großen Bogen um Bücher machen, die „Bloggerbande“ lesen werden. Vielleicht, weil ich daran mitgearbeitet habe und sie immer wieder interviewt habe, wie Neun-, Zehn oder Elfjährige sprechen, wie sie leben und was ihnen wichtig ist. Sie werden sie aber auch lesen, weil Medien ihren Alltag bestimmen und sie auf der Suche sind nach Möglichkeiten, sich selbst medial zu beteiligen.
Genau diese Mischung aus Buch und Medium hat mich übrigens an dem Projekt so fasziniert, weil ich darin aufgreifen konnte, was ich schon vor 20 Jahren auf Elternvorträgen empfohlen habe: „Suchen Sie für Ihr medienaffines Kind Bücher, die sich mit Medien beschäftigen.“ Ich bin sicher, dass nur wer ein Buch mit Freude gelesen hat, auch auf die Idee kommen kann, in eine Buchhandlung zu gehen. Wenn das über den Bezug zu Medien ist, warum nicht. Fernsehen, Computer, Internet bestimmen unser Leben und üben eine große Faszination aus – nicht nur auf Kinder.
Da fällt mir ein, wo ich selbst meine ersten Bücher gekauft habe: im Supermarkt und im Kaufhaus. Erst später habe entdeckt, dass man in Buchhandlungen stöbern, in Büchern blättern und mit Buchhändlern plaudern kann. © Birgit Ebbert
Link zum Interview mit dem Geschäftsführer der Stiftung Lesen
Ganz richtig. Ich empfand die Diskussionen der Buchhändler zu dieser Kooperation auch daneben. Bei mir hat sich der Eindruck verfestigt, da wird – weil wirtschaftlich die rosigen Zeiten vorbei sind – wegen eines Konkurrenten aufgeheult, jedoch das elitäre Intellektuelle als Vorwand vorgeschoben. Mit der Buchpreisbindung hat schon betriebswirtschaftlich der Buchhandel eine riesen Vorteil gegenüber anderen Branchen. Und nein, nur ein Bruchteil des Verkaufs wird ihnen durch die Kooperation mit Aldi entgehen. Übrigens müßten die Buchhändler im gleichen Tonfall gegen Bibliotheken wettern. Die sind ja noch schlimmer, weil man das Buch ja mehrmals ausleihen kann. Tsss. Ach so, ja, da war ja noch was. Die Bibliotheken sind ja Konkurrenz und Kunden zugleich.
Vielen Dank, das ist wirklich erstaunlich, wie selbstverständlich da mit zweierlei Maß gemessen wird. LG Birgit Ebbert
Ich freue ne den Weg über Aldi Kinder an Bücher heranzuführen gut, denn man kann eben nicht davon ausgehen, dass jeder mit seinen Kindern in Büchereien ,oder Buchhandlungen rennt um sie mit Büchern zu versorgen. Man kann nicht einmal davon ausgehen, dass jeder sein Kind überhaupt mit Büchern in Kontakt bringen möchte. Wenn man aber sowieso beim Aldi ist und sich die Angebote anschaut, ist die Hürde ein Buch zu kaufen geringer. Ich gebe auch zu, dass auch ich, die Bücher und Buchhandlungen liebe, bereits einige Bilderbücher beim Aldi gekauft habe…
Sehr geehrte Birgit Ebbert,
per Blog hingewiesen auf Ihren Beitrag, sende ich Ihnen zur Korrektur Ihrer Informationslage den Link zum Beitrag meiner Buchhandelskollegin Doris Müller-Horeth zum Thema: http://www.boersenblatt.net/artikel-zur_kooperation_von_aldi_und_stiftung_lesen.1017689.html
Von mir selbst kopiere ich Ihnen einen Auszug aus einem Blogbeitrag:
„Es geht nicht um Umsatz und Verkauf, sondern um die Art des Deals, dass die Stiftung Lesen einem Handelskonzern exklusiv Dienstleistungen und real ein Zertifikat zur Verfügung stellt, dass sie langjährigen Partnern nie angeboten hat. Was ist da Sinn und Zweck dieser Stiftung. Und seit wann ist eine neue Buchreihe und woanders gefüllte Buchregale oder -tische „Leseförderung“? Aldi darf von mir aus so viele Bücher verkaufen wie sie wollen, mit 99%er Sicherheit wohl an KundInnen, die niemals zu mir kommen, Beispiele dieser Art gibt es zuhauf, und ich bin der Meinung, dass diese im Buchvertrieb ihre Berechtigung haben. Darum geht es hier aber überhaupt nicht! Man mag bei dem Aldi-Deal kritisieren, warum nicht eher irgendjemand auf die Idee gekommen ist, Kinderbücher mit dem Siegel „Unterstützt von der Stiftung Lesen“ zu versehen, wo wir doch eigentlich alle so einfallsreich sein wollen. Aber alleine hier sollte man hinterfragen, was meint die Stiftung Lesen hier mit „Unterstützt“? Die O-Töne von Herrn Maas sind da sehr, sehr seltsam. Das erinnert doch sehr stark an das, was der Enthüllungsjournalist Wilfried Huismann in seiner Eröffnungsrede der Buchtage 2015 über die Praktiken des WWF berichtet hat.“
Ich halte die Stiftung Lesen würde eine wichtige und tolle Einrichtung, auch ich verschenke jedes Jahr hunderte Bücher „Ich schenk Dir eine Geschichte“, verbunden mit unzähligen Veranstaltungen mit Schulklassen in meiner Buchhandlung. Ich knirsche nur mit den Zähnen, wenn Schulklassen die Bücher nicht abholen, für die sie sich angemeldet haben – denn schließlich bezahle ich diese Bücher. Leseförderung ist nicht nur ein wichtiges Thema, es ist auch ein sensibles. Es wäre schade, wenn sich die Stiftung Lesen entwickelt zu einem Unternehmen der Charity-Industrie mit dem entsprechenden Selbstzweckcharakter.