Mein ganz persönlicher Streiksonntag
(30.03.2014) Heute streike ich mal, habe ich entschieden. Leider bedeutet das nicht, dass mein Honorar weitergezahlt wird, denn als Selbstständige werde ich nur für die Arbeit bezahlt, die ich leiste. Ich kann keinen „Krankenschein“ nehmen, dann verliere ich womöglich Kunden, einen Verlag oder meine Leser. Urlaub bedeutet, dass ich vor- und nacharbeite, weil niemand in meiner Abwesenheit die Arbeit erledigt. Ich bin Produktion (= Autorin), Buchhalterin, Marketing-Leiterin, Vertrieblerin, Poststelle, Bürgerbüro, Technik-Abteilung und Facility Managerin in einem. Selbstständig heißt wirklich selbst und ständig, auch wenn nicht Selbstständige am lautesten über dieses Wortspiel lachen.
Vielleicht gilt das für Schriftsteller mehr als für andere und vielleicht bin auch nur ich so. Wenn ich etwas lese oder höre, sehe oder rieche, klackert es in meinem Kopf. Erinnerungen oder Assoziationen tauchen auch, Fragen ergeben sich und oftmals entwickelt sich der Anfang einer Geschichte. Ich will das nicht, aber ich kann vielleicht noch die Augen, nicht aber die Ohren oder das Gehirn abschalten und so klackert es eben ständig.

In der letzten Woche habe ich gemerkt, dass mein Gehirn sich überdreht hat wie eine Schraube, die sich nicht mehr schrauben lässt. Ich mochte nicht mehr lesen und schreiben, nicht fernsehen und fotografieren – Dinge, die ich für mein Leben gerne tue. Ich habe die Decke angestarrt und versucht, meine Gehirnschraube zum Stillstand zu bringen. Keine leichte Aufgabe, denn am Donnerstag warteten in Detmold Lehrer, Eltern und Schüler auf meinen Vortrag bzw. meine Lesung. Aber ich habe es geschafft, ich habe mein Gehirn resettet, sogar gestern noch an dem Treffen der Facebook-Gruppe „Hagener Kultur, Kunst und Geschichte(n)“ teilgenommen und abends die Premiere im Theater Hagen besucht.

Heute Morgen habe ich entschieden, dass ich heute streike. Ich arbeite nicht an meinem Roman und die Notizen für die Blog-Beiträge über die Premiere und das Stadtmuseum bleiben liegen, ich fahre nicht ins Münsterland, auch wenn es mir schwerfällt, weil meine Mutter allein ist, und ich schalte nicht die Waschmaschine ein, ich lasse den Putzeimer stehen, der Ablagestapel kann mich mal, vor die schmutzigen Fenster ziehe ich Rollos, die Lesungsvorbereitung für Dienstag und das Marketing für mein E-Book-Experiment müssen halt warten.
Meine Demo wird mich allerhöchstens mit der Kamera durch die Stadt führen – aber ich kriege die Streikzeit auch nicht bezahlt, warum sollte ich Flugblätter verteilen? Obwoh das auch schon wieder eine interessante Idee ist. Was geschähe wohl, wenn alle Selbstständigen kollektiv streiken würden? Beim Verdi-Streik in der letzten Woche entstand ja der Eindruck, ohne den öffentlichen Dienst ginge die Welt unter. Aber der öffentliche Dienst ist Teil einer Gemeinschaft. Teil! und nicht die Gemeinschaft, dazu noch ein Teil, der von meinen hart und ohne Kündigungsschutz, Urlaubsgeld, 40-Stunden-Woche und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erarbeiteten Steuern bezahlt wird.
Das musste ich einfach mal loswerden und da auch die PR-Abteilung in mir streikt, bremst sie mich gerade nicht und ich kann ungehindert schreiben, was mir auf der Seele brennt. Ich bin nicht neidisch auf die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, ich gönne ihnen ihre (!) Jobs und es gibt Gründe, warum ich dem öffentlichen Dienst vor 16 Jahren den Rücken gekehrt habe. Ich wollte immer Schriftstellerin werden und bin glücklich, dass ich auf dem Weg bin, auch wenn ich erst langsam merke, dass das ein Traum ist, den man in unserer Gesellschaft nicht träumen sollte. Aber ich würde mich freuen, wenn die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und ihre Gewerkschaften gelegentlich sähen, welche Annehmlichkeiten sie haben, von denen Selbstständige, die den Dienstleitungssektor und Kulturbereich bestimmen, nur träumen können.
Und nebenbei: Meine Honorare wurden in den letzten Jahren nicht angehoben, im Gegenteil wachsen die Anforderungen bei teilweise sinkenden Honoraren. Gleichzeitig muss ich mir von Freunden – zum Teil Beamte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst übrigens – anhören, wie toll es sei, dass es diese DVD gäbe, auf der es E-Books von allen aktuellen Büchern kostenfrei gäbe! Doch das ist ein anderes Thema, dazu müsste ich recherchieren, den Artikel strukturieren und meine innere PR-Abteilung Korrektur lesen lassen. Das geht nicht, denn ich streike ja heute, nach der Rückkehr von meiner Kamera-Demo streike ich nun mit einem Krimi auf der Couch! © Birgit Ebbert
Liebe Birgit,
Du sprichst mir mit Deinem Beitrag aus der Seele! Wie viele Menschen vergessen einfach, andere in ihrem Sein und Tun respektvoll zu begegnen (Beispiel DVD). Sie vergessen die Vielfalt unserer Gemeinschaft. Dass Kunst und Kultur das Getriebeöl sind, geht im Motorenlärm viel zu oft unter.
Liebe Grüße und ein angenehmes Seele-baumeln-lassen wünschend,
Evelyn
Hm … Da geht mir einiges durch den Kopf. Richtig ist sicherlich, dass viele nicht das Gute sehen, was sie haben. Richtig ist auch, dass wir Freiberufler es oft verdammt schwer haben. Nicht richtig finde ich aber, das Schwere gegeneinander aufzurechnen. Wenn ich mir z.B. Arbeitsbedingungen und Gehalt von Erzieherinnen im öffentlichen Dienst anschaue (ich kenne welche), dann wird mir ganz anders und ich finde nicht, das die trotzdem mal ganz ruhig sein sollten, nur weil wir Autoren unterbezahlt sind. Und um wieder auf das Gute zurückzukommen, das man an der eigenen Situation oft nicht wahrnimmt: Ich als Freiberuflerin finde es verdammt gut, dass ich flexibler bin in meiner Zeiteinteilung als jemand, der fest angestellt ist. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile, das Freiberuflerdasein und das Angestelltendasein.
Einen schönen Sonntagabend wünscht Luise
Liebe Luise, ich stimme dir völlig zu, was einzelne Berufsgruppe angeht, hier in Hagen – so wurde mir erzählt – haben die Erzieherinnen sogar nur Zeitverträge. Aber hier in Hagen haben mir auch Erzieherinnen gesagt, dass es ihnen lieber wäre, es würde für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft als für mehr Gehalt. Ich sehe durchaus das Gute an meiner Situation, obwohl ich mich im Land der Dichter und Denker oft frage, warum Kunst und Bildung so wenig Stellenwert haben. Aber das ist ein anderes Thema. Ich finde, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Altersvorsorge, die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und auch Beamte haben, auch mal mit bewertet werden sollten. Davon habe ich zumindest nichts gehört oder gelesen. Liebe Grüße und auch einen schönen Sonntagabend Birgit
Liebe Birgit,
danke für deinen Blogbeitrag. Du sprichst mir aus der Seele! Obwohl ich keine Schriftstellerin bin, geht es mir ähnlich, in meiner Branche läuft es nicht anders. Auch wenn sich dadurch an der Situation nichts ändert, so ein „Streik“ wie deiner tut ab und zu gut und ma kann zumindest einmal Kraft tanken.
Liebe Grüße, Sabine
Liebe Birgit, vielen Dank für diesen Beitrag. Nein, ich sehe nicht, dass hier das Schwere gegeneinander aufgerechnet wird. Ich verstehe aus Deinem Beitrag vor allem eines:
In einer Gemeinschaft braucht es auch immer den Blick auf die Situation anderer Menschen. Ohne dieses gegenseitige Verständnis wird manches als Selbstverständlichkeit genommen. Und wenn der Blick eben nicht so offensichtlich ist, dann dürfen auch wir Freiberufler einmal darüber reden, was unsere Arbeit und damit auch unser Dasein ausmacht. Und mit dem Verständnis füreinander lebt es sich einfach viel leichter und vielleicht können wir aus dem, was uns auf der anderen Seite als positiv ansehen, auch etwas lernen:
Ja, wir Freiberufler haben den Vorteil, niemanden um Erlaubnis zu fragen zu müssen, ob wir mal einen Tag Auszeit nehmen dürfen. Es ist unsere eigene selbstbewusste Entscheidung. Und vielleicht sollten wir uns das „Kämpferische“ von den Arbeitnehmern annehmen, wenn wir wieder einmal Gefahr laufen, uns bei unseren Kunden, Veranstaltern usw. unter Wert zu verkaufen.
Liebe Grüße
Walburga
Liebe Birgit, in Deinen Ausführungen bin ich auf jeden Fall Deiner Meinung was die gegenseitige (Wert-)Schätzung der einzelnen Tätigen betrifft. Allerdings muss ich feststellen, daß Du einserseits in Deiner Personenmehrheit sicherlich eine große Zahl an Streikenden zusammenbekommst, aber andererseits fehlt Dir die Gegenseite. Gegen wen streikst Du denn, eigentlich gegen Dich selbst!!!! Du brauchst eine Auszeit, Ruhe und möglichst eigentlich keinen Input welcher Art auch immer……also eigentlich brauchst Du Amrum oder eine andere Insel bei Nebel und leichtem Wind, damit Du Deine Gehirnschraube entspannen kannst. Die Osterferien könnten doch ein wenig Entspannung bringen, aber auch dort wird es wieder klackern und rattern und Du wirst die Geschichten nur so nebenbei einfangen! Eine Gabe die nicht jeder hat, um die ich Dich beneide und die Dich das sein läßt was Du liebst und vor allem was Du machst. Also nicht streiken, sondern Auszeit nehmen. LG Barbara
Vielen Dank, liebe Sabine, liebe Walburga und liebe Barbara für die Zustimmung und ja, Barbara, ich kann nur gegen mich streiken, das ist das Problem. Die Auszeit ist natürlich schon geplant, aber bis Ende Mai ist noch soooo viel Zeit und auf Baltrum kann ich auch wirklich das Klackern abstellen, darauf freue ich mich schon. Bis dahin schaue ich, dass ich mir kleine Streikzeiten gönne 🙂 Liebe Grüße Birgit