Origami – eine uralte Fähigkeit neu entdeckt
(04.11.2015) Eigentlich habe ich keine Zeit, einen Blogbeitrag zu schreiben – ich muss falten! Doch vielleicht kann ich den einen oder die andere mit dem Artikel motivieren, sich – wenn es demnächst dunkler wird bei einem Glühwein und ein paar Lebkuchen – auf verborgene Fähigkeiten und vergessene Bastelfreuden zu besinnen. Ich jedenfalls habe mich bereits für den nächsten Workshop angemeldet und mich auch gleich mit Faltpapier eingedeckt.

Aber noch einmal zurück, wie ich überhaupt Origami wieder entdeckt habe. Vor über einem Jahr bin ich in der Kooperative K Happy Guy begegnet, der Vögel faltet, sie auf Äste klebt und freilässt, um anderen Menschen eine Freude zu machen. Wer will, kann sie mitnehmen oder sich auch einfach daran erfreuen. Er hat mir damals erzählt, dass er auf diese Idee kam, nachdem er zur Entspannung angefangen hatte, Vögel zu falten und nicht mehr wusste, wohin damit. Falls also in Hagen demnächst überall gefaltete Kraniche herumstehen, habe ich die Idee aufgegriffen 🙂

Zwei Monate später, als ich im National Novel Writing Month an einem Roman arbeitete, habe ich der Protagonistin angedichtet, dass sie einen Delfin faltet. Um zu sehen, ob meine Idee realistisch ist, habe ich eine Faltanleitung für einen Delfin im Internet gesucht und am Ende ein mehr oder weniger als Delfin erkennbares Etwas gefaltet. In diesem Herbst kam dann irgendwie alles zusammen – Happy Guy war wieder in der Kooperative K und dort stand ein großer Baum voller Faltvögel, ich wollte ein Geschenk zum Geburtstag einer Freundin basteln, bekam dadurch plötzlich wieder Freude am Basteln mit Papier und sah bei Facebook, dass die Buchhandlung am Rathaus einen Origami-Kurs anbot. Also habe ich mich kurzerhand angemeldet, neugierig auf den Kurs und darauf, ob brach liegende Fähigkeiten aus Kindheit und Jugend wirklich nach so langer Zeit reaktiviert werden können. Ja, können sie und auch die Begeisterung, die man als Kind an einer Beschäftigung hatte.

Das lag sicher an der witzigen Art, wie Dirk Bruchmann uns anleitete und die Faltungen auch mehrfach geduldig erklärte. Aber vielleicht kam auch bei allen Teilnehmerinnen die innere Freude eines Kindes beim Tun einer Sache durch.
Wir haben jedenfalls viel gelacht und wenn man sich die Fotos anschaut, kann man vielleicht erahnen, dass nicht jeder Schritt bis zum fertigen Objekt ein Vergnügen war. Aber alle konnten am Ende hübsche Ergebnisse mit nach Hause nehmen – ok, mein Kranich sah eher wie ein Drache aus, aber es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen und andere Menschen haben es auch schon geschafft, elegante Kraniche zu falten 🙂

Dirk Bruchmann, der sich „Der Komplettierer“ nennt, und in Wehringhausen einen Suchdienst für Bücher, Comics, Musik und Film betreibt, kam auf deutlich seltsamere Weise zum Origami als ich. Vor einigen Jahren schenkte ihm eine Freundin zum Geburtstag einen Origami-Kurs. Das stimmt nicht ganz, sie schenkte ihm etwas, von dem sie halb erwartete, dass es ihm nicht gefallen würde. Angesichts der Gruppe von Senioren, zu der sie ihn brachte, sah es auch fast danach aus, als würde sich ihre Befürchtung bewahrheiten. Allerdings war die Origami-Lehrerin so mitreißend, dass aus dem Überraschungsgeschenk ein Hobby geworden ist, das er seit einigen Jahren auch in Kursen weitergibt. Unter anderem in der Buchhandlung am Rathaus, die in unregelmäßigen Abständen Abendworkshops anbietet – kürzlich einen lange vorher ausgebuchten Zentangle-Kurs und gestern eben den Origami-Workshop, der am 10. November eine Fortsetzung findet. Ich bin wieder dabei. 🙂

Gerade fällt mir ein, dass meine letzten Faltübungen doch keine zig Jahre her sind, sondern auch in der Lerntherapeuten-Ausbildung vorkamen, das hatte ich ganz vergessen. Origami hat nämlich nicht nur eine entspannende Wirkung, sondern auch eine pädagogische. Das fiel mir heute Abend bereits auf, dass man damit zum Beispiel übt, sich zu orientieren, in welche Richtung man wann was falten muss und ein Gefühl dafür bekommt, was eine Hälfte oder ein Viertel ist. Heute Abend wollte niemand so recht glauben, dass ich im Kindergarten schon Tiere gefaltet habe. Dabei erinnere ich mich genau an Frösche und Schwäne und vielleicht konnte ich damals auch den Kranich schon. Und es wird so gewesen sein, denn Fröbel war es, der die Faltkunst aus Japan in die deutschen Kindergärten gebracht hat, da war sie in den 60er Jahren ganz sicher noch. Inzwischen habe ich bei meiner Mutter nachgefragt, die berichtet hat, dass ich immer wieder mit gefalteten Tieren nach Hause kam und sie mit der Faltlust angesteckt habe. Da weiß ich doch schon, wem ich eine Packung de hübschen Faltpapiers zu Weihnachten schenke 🙂
In China und Japan, wo man den Ursprung der fast 2000 Jahre alten Falttechnik vermutet, war Origami übrigens nicht nur ein beliebiger Zeitvertreib, sondern Mittel zur Konzentration und Entspannung und oft Teil einer Zeremonie, zum Beispiel wurden für Hochzeiten Schmetterlinge gefaltet. Die ersten schriftlichen Anleitungen sind allerdings erst gut 200 Jahre alt, das Buch stammt aus dem Jahr 1797 und hieß auf Deutsch „Wie man tausend Kraniche faltet“, ein wichtiges Thema, denn man ging in Japan davon aus, dass derjenige, der 1000 Kraniche gefaltet hat, einen Wunsch frei hat – drei habe ich fertig 🙂
Wenn ich nun jemanden angesteckt habe, kann er oder sie in Hagen nachfragen, ob es noch einen Platz im Kurs in der Buchhandlung am Rathaus am 10. November gibt – die Buchtipps von Dirk Bruchmann habe ich mir dummerweise nicht aufgeschrieben, die ergänze ich. Aber bis dahin sollten die Anleitungen im Internet reichen 🙂
Viel Spaß beim Falten! © Birgit Ebbert
Und hier sind auch die Buchtipps, die Dirk Bruchmann mir freundlicher Weise gemailt hat:
„Origami – Kunst aus Papier“. White Star Verlag 2013 (mit 144 Bögen)
Alexandra Dirk: „Das große Lichterbuch“ Q-Verlag 2005
Paulo Mulatinho: „Pfiffiges Origami“ Augustus Verlag 2003 (nur noch antiquarisch erhältlich mit verschiedenen ISBN und in verschiedenen Ausstattungen)
außerdem (nur noch antiquarisch oder in der Bücherei 🙂 erhältlich)
Alexandra Dirk: „Schachtel-Spass mit Origami“ Ravensburger Verlag 2001
James Kinoru Sakoda: „Origami“ Hugendubel Verlag 1981
Liebe Birgit,
das mit den 1000 Kranichen habe ich auch von einer Japanerin gehört, die uns vor ein paar Jahren bei einem Kurs (zu einem völlig anderen Thema, abends beim Schlummertrunk) die Falttechnik für Kraniche beibringen wollte (angeblich eine der einfachsten Übungen im Kanon – ähem, ja, …). Sie hat erzählt, dass 1000 Kranich zu falten eine Form von Gebet ist und nach der Katastrophe von Fukushima hinge alles überall voller Kraniche (das lag da noch nicht so lange zurück). Ich fand das sehr beeindruckend.
Letztens gab es die Sendung Origami-Code – sehr spannend: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=54054 – neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen einfach wunderschöne Faltprodukte (unpassendes Wort, mir fällt nur gerade kein schöneres ein) zum Anschauen und Staunen.
Liebe Grüße
Heike
Liebe Heike,
das ist ja interessant, dass du die Info direkt aus der Quelle hast, das motiviert mich doch zusätzlich, an den 1000 Kranichen zu arbeiten 🙂 Wenn man das Faltprinzip durchschaut hat, ist er einfach aber eindrucksvoll.
Liebe Grüße
Birgit
Liebe Birgit,
ich kann mich noch an ein Geschenk zu meinem 50ten erinnern, da lag auch viel Faltkunst und Entspannung drin!:-) Es gibt an der Schule meines Sohnes einen Lehrer der den Kindern, die zu spät kommen, als „Strafe“ das Falten eines Origami-Tieres aufgibt. Da er schon so einige Exemplare hat, gibt er das Tier vor…..Alex musste einen Esel falten….“wir“ haben es nicht hinbekommen, obwohl eine Vorlage in Chinesisch vorlag (Internet sei Dank), aber nach 12 von 60 Schritten steckten wir fest…..was nicht zur Entspannung beitrug. Der Lehrer hatte Verständnis. Ich finde es schön, wenn die Kinder etwas basteln und sich orientieren an Vorgaben oder Videos…..das trägt wirklich zur Entspannung bei, solange es funktioniert. Andererseits trägt es auch dazu bei, mit Niederlagen fertig zu werden und es wieder und wieder zu versuchen!! Viel Spass ud Erfolg weiterhin, mit Kranich und Co. LG Barbara
Liebe Barbara,
schön zu lesen, dass die Faltkunst noch nicht ganz vergessen ist bzw. auch außerhalb einer Origami-Community noch genutzt wird. Es gibt wirklich Origamitage und -Foren, das hat mich auch überrascht. Aber ich werde erst mal bei Kranichen bleiben – einen Esel versuche ich dann auch mal und schicke dir ein Foto, sollte es klappen 🙂
Liebe Grüße Birgit
Ein sehr schöner Blog-Beitrag!
Als passionierte Falterin freut es mich immer, wenn Menschen ihre Freude am Origami entdecken. Es gibt sooooo viele schöne, faszinierende Faltungen.
Vielleicht lässt sich so eine Aktion wie in Hagen ja auch mal in einer Hattinger Buchhandlung oder in der Stadtbibliothek realisieren? Ich wäre bereit…
Herzliche Grüße,
Heike Schröder
Vielen Dank, Heike Schröder, ich drücke die Daumen, dass eine Hattinger Buchhandlung oder die Stadtbibliothek die Idee aufgreifen – im Bügeleisenhaus wurden ja vermutlich schon Drachen gebastelt 🙂 Herzliche Grüße Birgit Ebbert
Liebe Barbara!
Kraniche falten gehört momentan auch zu meiner Lieblingsbeschäftigung und nun stolpere ich über deinen Blogartikel!
Mich hat die Legende, die dahinter steht, total fasziniert!
Da ich sehr schmerzhafte chronische Erkrankungen habe, lenkt mich das Falten der Kraniche davon ab!
Höchst meditativ! Und wenn ich die 1000 Kraniche geschafft habe, weiß ich schon was ich mir wünsche: Gesundheit!
Es fehlen nur noch 945;-))
Dir noch ein entspanntes Falten und herzliche Grüße,
Kirsten
Da wünsche ich dir erfolgreiches Falten – immerhin bist du schon etwas weiter als ich, mir fehlen noch 995 🙂 Herzliche Grüße Birgit