Wie meine Romane entstehen
(21.01.2015) Meine Mutter fragt mich nach jedem Buch, woher bloß meine Ideen kommen. Manchmal frage ich mich das ebenfalls, deshalb habe ich beobachtet, wie meine Romane entstehen. Ich dachte zunächst, ich könnte unterscheiden zwischen Romanen, die ich im Auftrag zu vorgegebenen Themen schreiben oder eigenen Ideen, das stellte sich als Trugschluss heraus.
Am Anfang stehen immer eine Idee und ein Thema, die meine Erinnerungen aufwirbeln und sich wie eine Brille vor meine Wahrnehmung schieben, ohne dass ich das bewusst bemerke. Das fällt mir nur auf, wenn ich etwas sehe oder lese und es plötzlich in meinem Kopf aufleuchtet: Das passt zu dem Roman
Vom ersten Moment an notiere ich alles. Meist kristallisieren sich schnell erste Figuren heraus, die allerdings nie ein bestimmtes Aussehen haben, weil mir das Aussehen nicht wichtig ist. Mir ist wichtig, was die Menschen erlebt haben und wie sie sind, das treibt für mich eine Geschichte voran und nicht das Aussehen, es sei denn, das Aussehen ist besonders oder bewegt in der Story etwas.
Irgendwann erreiche ich den Punkt, an dem ich beginnen muss zu schreiben und dann fange ich einfach an. Ich schreibe das erste Kapitel, ohne zu plotten oder Figurenbeschreibungen zu besitzen. Ich tippe einfach, was mir einfällt und dann sind sie plötzlich alle da, die wichtigen Figuren und ich fühle sie und manchmal sehe ich sie auch, dann kann ich ihr Äußeres beschreiben, ansonsten begnüge ich mich mit dem Inneren.
Je nachdem, für wen ich schreibe – ob für einen Verlag oder für mich – geht es unterschiedlich weiter. Schreibe ich für mich, lasse ich mich von der Geschichte und meiner Stimmung leiten. Manchmal plotte ich, manchmal nicht. Schreibe ich für einen Verlag, muss ich ein Exposé verfassen, das die grobe Handlung enthält und die wichtigsten Figuren ausarbeiten. Das mag ich nicht, weil für mich Romanfiguren wie Menschen sind, sie verhalten sich manchmal anders, als man es von ihnen erwartet.
Ganz ehrlich, bei manchen Szenen, die ich schreibe, habe ich keine Ahnung, woher die kommen. Ich erinnere mich nicht an ein ähnliches reales oder Medien-Erlebnis oder eine Schilderung. Es schreibt einfach und ist mir manchmal unheimlich. Oft sitze ich beim Überarbeiten da und wundere mich. Es passiert sogar, dass ich beim Lesen meines eigenen Textes lache oder eine Gänsehaut bekomme, weil ich so überrascht bin.
Meist habe ich nach dem Schreiben des ersten Kapitels bereits eine Art Trailer von dem Roman im Kopf. Noch nicht die ganze Geschichte, die vielen Kleinigkeiten ergeben sich beim Schreiben. Aber ich weiß grob, wer welchen Weg einschlägt, welche Wendepunkte es gibt und wie die Geschichte ausgeht. Manchmal schreibe ich das auf, vor allem dann, wenn ich an verschiedenen Projekten gleichzeitig arbeite. Aber oft gucke ich gar nicht auf die Notizen, sondern sehe den Trailer vor mir, sobald ich die Roman-Datei öffne. Als ginge im gleichen Augenblick eine Schublade in meinem Kopf auf und die Figuren samt der Kulisse sprängen heraus.
Dennoch kann ich den Roman nicht in einem Stück herunterschreiben, weil ich Pausen und Abstand brauche, denn es ist sehr anstrengend, mit den Figuren zu leben und zu leiden. Ich trage ja beim Schreiben die Last vieler Leben auf meinen Schultern. Außerdem recherchiere ich zwischendurch oft Kleinigkeiten, bei „MS Sara“ zum Beispiel, wie viele Menschen mit einem braunen und einem blauen Auge es gibt, bei Büchern mit historischem Bezug wie „Brandbücher“ überprüfe ich, ob es 1933 wirklich noch Autos gab, die mit Kurbel angelassen wurden, welcher Wochentag zu einem Datum gehört oder ob man ein Wort bereits zu jener Zeit kannte. Da bin ich oft länger mit der Recherche als mit dem Schreiben beschäftigt, weil nicht immer alles im Internet zu finden ist.
Irgendwann ist die Rohfassung fertig, dann bearbeite ich den Text, feile Überstände und scheuere überflüssige Wörter weg, glätte Sätze und poliere alles schön. Diese Fassung schicke ich dann an das Lektorat oder ich suche einen Verlag dafür. Eher selten lasse ich Freunde oder Kollegen Test lesen, weil ich mich nicht durcheinander bringen lassen möchte. Aber das habe ich schon in meinem Beitrag über die „Schreibmelodie“ erklärt. Dann heißt es warten, bis die lektorierte Fassung zurückkehrt und hoffen, dass ich einen Lektor bekomme, der meine Schreibmelodie erkennt und den Text harmonisch lektoriert. © Birgit Ebbert
Foto: Ulrich Wens www.moment-aufnahmen.info
Liebe Birgit,
ich bin ganz bei Deiner Mutter und Ihrer Frage, denn ich werde immer wieder überrascht, was, wie und worüber Du schreibst. Das da so manche Geschichten in Dir schlummern und dann irgendwann tatsächlich und mit Macht rauswollen, habe ich schon erlebt. Aber dennoch ist es für einen Nichtschreiber und Vielleser wie mich, immer wieder überraschend Deine Text zu lesen. Ich wurde besonders überrascht von deinen Ideen in „Frauen rächen anders…….“ diese Ader an Dir kannte ich noch nicht…Ich werde Dir bestimmt keinen Grund geben, Dich rächen zu müssen!!!!LG Barbara
Lach, Barbara, ja, bei den kleinen Morden war ich über mich echt überrascht und ich bin immer noch verblüfft, was so in meinem Kopf schlummert. Liebe Grüße Birgit
Hallo Birgit,
Sehr interessant, wie du deinen Schreibprozess beschreibst. Die Gabe, kreativ zu sein ist für mich sowieso ein Phänomen für sich. Man kann Kreativität nicht lernen, oftmals verliert man sich mit der Erweiterung des Wissens sogar eher, da man weniger frei und mehr strukturiert denkt. Warum sonst können sich Kinder völlig in ihrer Fantasiewelt verlieren? Ich finde es sehr bewundernswert, wie sich Autoren dieses Talent bis ins hohe Alter erhalten und in Form von Büchern preisgeben.
Vielen Dank, Claudia, ich bin nicht sicher, ob Kreativität ein Talent ist, auf jeden Fall kann man es entwickeln. Bei uns in der Familie wurde – schon in Ermangelung der finanziellen Mittel – mit allem gebastelt und versucht, eine teure Anschaffung durch Selbsthergestelltes zu ersetzen. Das Vorbild regte uns an, was bei mir dazu führte, dass ich für die Barbiepuppe selbst Kleider entwarf und wegen fehlender Nähfähigkeiten kurzerhand mit Uhu klebte 🙂 In meiner Kindheitskiste gibt es auch noch ein selbstgebasteltes Monopoly und – für mich das Beispiel für Kreativitätsförderung, das ich auch schon oft auf Vorträgen erwähnt habe – eine Astschlange. Mein Vater forderte uns bei Spaziergängen auf, Ausschau zu halten, ob wir Äste, Zweige oder Wurzeln fänden, die wie Tiere aussähen. Zu Hause wurden diese Äste etc. dann gereinigt und mit Klarlack lackiert. Ich glaube, diese Beschäftigung mit etwas für viele völlig Nutzlosem war es, die das Ergebnis unseres kreativen Sehens zu etwas Besonderem gemacht haben. Und das kann heute jede, wirklich jede Familie, selbst in der Großstadt gibt es Parks mit Ästen. Upps, jetzt sind die Schreibgäule mit mir durchgegangen 🙂 Na, dann ist das auch mal festgehalten.
Liebe Grüße Birgit